Fördern oder Fordern?

Warum so viele Hunde mit der Umwelt überfordert sind

Vor einigen Jahren wurde die Arbeitslosigkeit von Hunden beklagt. Es wurde kritisiert, dass viele Hunde im Alltag unterfordert sind, sie sich langweilen und dass ihre Begabungen und Fähigkeiten ungenutzt verkümmern.

Die Mär von der Auslastung

In mein Training kommen viele Hunde, die eindeutig überfordert sind. Probleme, wie das Ziehen an der Leine, reaktives Verhalten im Alltag und unerfreuliche Begegnungen mit Joggern, Velofahrern und Artgenossen sind meistens Zeichen für eine Überforderung.

Warum sind Hunde so oft überfordert und verhalten sich im Alltag auffällig?

Foerdern 1Hundehaltern steht doch heutzutage ein breites Angebot an Welpen- und Junghundekursen zur Verfügung. Die jungen Hunde werden von Anfang an gefördert: niedliche Tricks, Fun- und Spass Kurse oder Agility-Frühförderung, um hier nur Einige zu nennen.

Und trotzdem haben viel Hunde im Alltag Mühe.

Es fehlt ihnen die Zeit, sich mit den Umweltreizen auseinander zu setzen. Angehende Hundehalter bekommen oft von den Züchtern den Rat mit auf den Weg: „Das ist eine Arbeitsrasse, der Hund muss ausgelastet werden.“ Mit dem Resultat, dass der kleine Welpe vom ersten Tag an ein strammes Programm zu absolvieren hat.

 

Den Hund auslasten- was bedeutet das überhaupt?

Soll ich nun täglich 3 Stunden im strammen Tempo durch die Lande ziehe? Bedeutet das, dass ein Hund pro Woche 10 Tricks erlernen soll, egal wie gut oder schlecht das Training ist?

Videos von jungen Hunden auf Hockern, Tischen, Bällen oder neuerdings auf Fitness-Bones geistern durch das Netz. Spektakuläre Tricks auf YouTube, bei denen sich jedem Hundephysiotherapeuten die Nackenhaare sträuben, spornen Junghundehalter an, möglichst schnell ähnliche Resultate vorweisen zu können. Wie das Training aufgebaut werden muss, um keine körperlichen Schäden zu provozieren, steht selten im Netz. Nur das spektakuläre Resultat ist zu sehen.

Eine sinnvolle Auslastung bedeutet, dass der Hund Alltagskompetenz besitzt und souverän und selbstsicher die richtigen Entscheidungen fällen kann. Das zu erlernen ist für viele Hundepersönlichkeiten schon eine grosse Leistung.

Die Sache mit dem Training

Hundehalter fühlen sich unter Druck, man möchte das Tier so gut es geht fördern. Es wird gegoogelt und auf Hundeseiten nach Ratschlägen gesucht, Tutorials werden geschaut, sowie Bücher und DVDs gekauft und nicht wenige Hundehalter verzweifeln an den oft widersprüchlichen Aussagen, wie ein Hund nun zu erziehen sei.

Mit Gewalt möchte eigentlich keiner sein Tier erziehen. Bekannte TV- Trainer verkaufen Gewalt allerdings unauffällig. Da geistern Rudeltheorien durch die Serien. Bodyblocs und Schlimmeres werden als artgerechte Erziehungstechniken angepriesen. „Der Hund als Rudeltier verlange ja förmlich nach massiven Einwirkungen, sonst respektiere er seinen Chef nicht“ ist immer wieder zu hören und zu lesen.

Wo beginnt Gewalt im Hundetraining?

Gewalt beginnt wo Wissen endet. Man kann nicht genug darauf hinweisen, dass es für jedes Problem im Umgang mit einem uns anvertrauten Wesen eine gewaltlose und liebevolle Lösung gibt. Man muss sie nur kennen.

Gewaltloses Training ist belohnungsorientiertes Training. Es gehört viel Wissen dazu, so zu trainieren, dass unerwünschtes Verhalten nicht entstehen kann. Fehlerfreies und kleinschrittiges Training ist das Mittel der Wahl.

Aber, wo ist denn eigentlich der Unterschied zwischen Erziehung und Training? Ist es Training, wenn ich meinem Hund einen Trick beibringe und an lockerer Leine laufen ist Erziehung?

Aus Sicht des Hundes ist da kein Unterschied. Hunde tun Dinge, die sich für sie lohnen. Es ist die Aufgabe von Hundehaltern und Trainern, dem Hund die Regeln des Zusammenlebens so zu erklären, dass sie für den Hund verständlich sind und dass der Hund diese gerne einhalten kann.

So einfach, wie das hier zu lesen ist, ist es allerdings im täglichen Leben nicht umzusetzen. Es gibt Regeln der Lerntheorie, die man kennen und anwenden sollte und vor allem, man muss den Hund lesen können. Der Mensch muss das Ausdrucksverhalten von Hunden lesen können, sonst entstehen Missverständnisse, die den Erfolg boykottieren.

„Lies deinen Hund“

Foerdern 2Dieser kluge Rat von Angela White, einer erfolgreichen Obedience Sportlerin und Trainerin aus England, bringt es auf den Punkt. Hunde zeigen uns sehr klar, wie sie sich fühlen und ob sie uns verstehen können. Hundehalter sollten darin geschult werden, das Ausdrucksverhalten des Hundes lesen zu können, sonst entstehen im Zusammenleben schnell Missverständnisse.

Der Klassiker unter den Missverständnissen zwischen Hund und Mensch ist der Ausspruch des Hundehalters: „Mein Hund ist stur, er weiss genau, was er nicht tun soll.

Mein Hund ist stur“, sagen Menschen oft, wenn der Hund nicht tut, was Herrchen oder Frauchen will. Wenn der Hund zum Beispiel wegschaut und nicht sofort auf sogenannte Kommandos reagiert.

Es ist jedoch das natürliche Ausdrucksverhalten eines Hundes wegzuschauen,wenn er höflich sagen möchte: "Ich möchte es ja gerne tun,aber ich verstehe dich einfach nicht".

Gutes Training zeigt dem Hund positiv und kleinschrittig, welches Verhalten erwünscht ist und sich in einer bestimmten Situation lohnt.

Es gibt bestimmte Regeln, mit denen gutes Training arbeitet. Gutes Training sollte möglichst fehlerfrei sein und sich in kleinen Schritten dem Wunschverhalten annähern.

Ein gut trainierter Hund weiss genau was wir von ihm möchten. Er versteht die Signale und kann das Verhalten ausführen. Ein gut trainierter Hund macht das auch gerne, es macht ihm Spass zu zeigen: "Ich kann das!".  Gut trainierte Hunde sind aufmerksam und kooperieren mit ihrem Menschen.

Nur, wie kann ich, als Laie, gutes Training erkennen?

Wie erkennt man eigentlich gutes Training?

Foerdern 3Mein Rat: „Frag mal deinen Hund!“ Schau dir deinen Hund an.

Sieht er glücklich aus? Zeigt er das hundetypische „lachende Mäulchen“, blitzen seine Augen vor Freude, läuft er aufmerksam und fröhlich mit dir mit? Oder weicht er vielleicht aus? Klemmt den Schwanz ein und duckt sich? Oder schlimmer noch, er rennt vor dir weg und versteckt sich?

Wird das ganz bestimmte Verhalten, dass du trainieren möchtest, besser oder bleibt es beim Status Quo?

Kann dein Hund ruhig und konzentriert seine Umgebung erkunden? Schaut er entspannt andere Menschen und Hunde an? Oder bellt er hektisch und zerrt an der Leine?

Bekommt dein Hund genügend Zeit, um sich entspannt mit einer Situation auseinandersetzen? Oder musst du vielleicht ständig sein Verhalten korrigieren?

Für mich persönlich gibt es eindeutige Zeichen, um schlechtes Training zu erkennen. Wenn ich mehrmals im Training das Wort „nein“ gehört habe und wenn über „Kommandos“ mit dem Hund kommuniziert wird, er nicht kreativ und selbstbestimmt in seinem Verhalten sein kann, dann ist das für mich ein Zeichen, dass hier kein gutes Training stattfindet. Es wird nicht belohnungsorientiert und fehlerfrei trainiert.

 

Gutes Training gibt dem Hund Raum und Zeit Entscheidungen zu fällen. Gutes Training ist so aufgebaut, dass Hunde fehlerfrei agieren können, dass Übungsschritte oft und gut belohnt werden und, dass bei Schwierigkeiten neue Wege angeboten werden, die dem Hund helfen erfolgreich zum Ziel zu kommen.

Die sogenannte Sozialisation

Neuhundehalter beschäftigt, neben der Stubenreinheit und der Beisshemmung, am meisten das Problem mit der sogenannten Sozialisation.

Mit Sozialisation wird fälschlicherweise sehr oft verbunden, dass ein Hund zu jedem Artgenossen rennen darf, mit jedem Artgenossen spielen soll und immer und zu jeder Zeit erduldet, dass ein anderer Hund ihn bedrängen darf und rüpelhaftes Verhalten zeigen darf.

Ein vollkommen falscher Denkansatz. Höfliche Hundebegegnungen sind entschleunigt und ritualisiert. Höfliche Hunde geben immer dem anderen Hund die Möglichkeit zu kommunizieren und auch zu signalisieren "Heute möchte ich keine Artgenossen sehen".

Rituale, wie beiseite schauen, im Gras schnüffeln, einen Bogen laufen und Vieles mehr, dienen der stressfreien Begegnung. Wer darf und muss zuerst am anderen schnüffeln ist wichtig. Wer darf sich zuerst und wann abwenden entscheidet oft darüber, ob eine Begegnung friedlich verläuft oder ob der eine Hund dem anderen "eins auf die Mütze" geben möchte, weil er sich unhöflich früh und ohne die nötigen Rituale abgewendet hat.

Rüden markieren in festgelegten Reihenfolgen immer wieder an die gleiche Stelle, bis man entspannt auseinander gehen kann. Diese Rituale benötigen Zeit und Raum. Die wenigsten Menschen geben ihren Hund dafür den nötigen Rahmen.

Warum „können“ so viele Hunde keine friedlichen Begegnungen mit Artgenossen leisten?

Welpen lernen die Regeln des Zusammenlebens in der sozialen Gruppe am Anfang bei den Züchtern im Zusammenleben mit der Hundemama und den Wurfgeschwistern. Bei Abgabe an die neue Familie, hat der Welpe nur gelernt, wie er sich in der eigenen Hundefamilie manierlich zu benehmen hat. Es ist nun die Aufgabe der neuen Familie, die Regeln im Zusammenleben mit Menschen und in unserem Lebensraum zu erklären.

Viele Neuhundehalter gehen deswegen in Welpengruppen. Dort darf der Welpe mehr oder weniger kontrolliert andere Welpen kennen lernen. Nicht jedem Menschen ist aber klar, dass es trotzdem die Aufgabe des Hundehalters ist, dem eigenen Welpen höfliches Verhalten anderen Hunden gegenüber beizubringen. Manchmal ist es Unwissenheit und Bequemlichkeit, aber oft ist es auch der menschliche Denkfehler, dass Hunde alles unter sich regeln, und dass der eigene Welpe möglichst viele andere Hunde kennen lernen soll.

Da sieht man dann ältere, souveräne Hunde genervt beiseite schauen, wenn der kleine Rüpel unhöflich in sie hineindonnert, den unbekannten älteren Hund bedrängt und sich penetrant in Szene setzt. Menschen finden, dass dann niedlich und mit viel „Jöö“ und „ach, wie süss“ wird das rüpelhafte Verhalten durch Aufmerksamkeit belohnt.

Wehe, der älter Hund wehrt sich seiner Haut und bellt den kleinen Racker aus dem Weg. Wir kennen alle die Situationen, wo Hundehalter schimpfend aufeinander losgehen.

Stress

Foerdern 4Zuhause ist er der liebste Hund. Sobald wir aus dem Haus gehen, ist er auf 180“.

Immer mehr Hunde scheinen der Belastung einer reizüberfluteten Umwelt nicht mehr gewachsen zu sein. Wir haben es bei Kindern und Hunden mit ähnlichen Phänomenen zu tun. Überreizt, erregt, unkonzentriert und überwältig von Eindrücken.

Hunde zeigen ihre Überforderung meistens mit erregtem Bellen, unkonzentriertem Laufen an der Leine und allgemein reaktivem Verhalten.

Hundehalter haben auch hier die Aufgabe, sich als gut sorgende Bezugspersonen zu zeigen, indem sie den eigenen Hund schützen. Der alte Spruch „da muss er durch“ schadet dem eigenen Hund und schadet vor allem auch der Beziehung. Je früher der Hund das Vertrauen bekommt, dass seine Bezugsperson ihn vor Eindrücken schützt, die er nicht bewältigen kann, umso schneller kann man erfolgreich an den Auslösereizen trainieren.

Ein gestresstes Gehirn kann weder denken noch lernen. Entspannungstechniken sind der erste Schritt und helfen dem Hund wieder zur Ruhe zu finden.

Zum Glück haben wir im modernen Hundetraining ganzheitliche Möglichkeiten Hunden zu helfen. Eine gute Gesundheit, sowie gutes Training, führt Hunde sorgfältig an die Umwelt heran und mutet ihnen nicht mehr zu, als sie bewältigen können.

Tricks- das Kontrastprogramm

Für den Hund ist das Training an Alltagskompetenz, die sogenannte "Erziehung" oft sehr anstrengend. Hier schlägt nun die grosse Stunde von Tricktraining.

Wie geht das?

Foerdern 5Jede Handlung, jeder Ort, jedes Erlebnis und jedes Signal werden von den Sinnesorganen aufgenommen und an das Gehirn weitergeleitet. Dort, im Limbischen System werden die empfangenen Reize bewertet, abgespeichert und mit einem „emotionalen Stempel“ versehen. So werde Signale und Orte mit einem Gefühl verknüpft, dass ein Tier in die Lage versetzt, reflexartig schnell und richtig zu reagieren. 

Es hat sich in der Evolution bewährt, dass Individuen schnell und wirksam erkennen können, wo es ihnen gut geht, welche Handlungen sinnvoll sind und welche Reize Gefahr ankündigen.

Wenn wir mit unserem Hund Tricks üben, dann wird dieses Training mit vielen positiven Erlebnissen verknüpft. Es gibt gutes Futter oder das Lieblingsspiel, der eigene Mensch ist entspannt und fröhlich und bei jeder Vorführung des Tricks erntet man  Bewundernung und Aufmerksamkeit. Der "Jööö-Effekt" belohnt alles,was mit niedlichen Tricks verbunden ist hochwertig und diese werden als positives Erlebnis abgespeichert.

Gutes Training, kleinschrittig und fehlerfrei ist natürlich unbedingt Voraussetzung. Da man Tricks sehr gut an die Bedürfnisse und Fähigkeiten anpassen kann und auch beim trainierenden Menschen schnell gute Laune aufkommt, haben Tricks die magische Fähigkeit Hunde zu entspannen und wieder in unsere Welt zu holen.

Zusätzlich fördert Tricktraining kreatives Denken. Hunde erarbeiten sich Lösungswege in gutem Training selbstständig. Diese Erfahrung stärkt die Fähigkeit über selbstbestimmtes Handeln nachzudenken und sinnvolle Lösungswege zu suchen.

Und genau hier ist die Schnittstelle zwischen Erziehung und Trick-Training. Während Alltagskompetenz im Training oft etwas trocken daher kommt, kann das Training von Tricks, im fröhlichen Kontext, alle Fähigkeiten fördern, die ein kluger Hund im Leben benötigt. Alltagskompetenz durch die Hintertür sozusagen.

 

 

 

 

Fördern und unterstützen,
ohne zu überfordern, das ist die Aufgabe von gutem Training.