Der fassungslose Hund - Auf der Suche nach Rahmenbedingungen
Flippt dein Hund öfter aus und reagiert fassungslos auf seine Umwelt?
Man muss es selber erlebt haben. Das Gefühl der Ohnmacht, wenn der eigene Hund kreischend in der Leine hängt, nicht mehr ansprechbar ist und hysterisch auf alles reagiert, was Füsse hat und atmen kann.
Wenn du Besitzerin oder Besitzer solch eines verhaltensoriginellen Tierchens bist, dann kennst du die vielen Ratschläge, die von allen Seiten ungebeten ins Haus kommen.
Hundehalter, die ihren Hund mit „Nein, Pfui und Aus“ erziehen, geben unaufgefordert Erziehungsratschläge und verbreiten Weisheiten von populären TV Trainern weiter.
Es hagelt Tipps aus dem Gruselkabinett und viel Hokuspokus wird empfohlen.
Aber, das bringt dich alles echt nicht weiter.
Du brauchst sinnvolle Werkzeuge.
Du benötigst Techniken, die dem Hund in der Situation helfen und einen Leitfaden, an dem du dich orientieren kannst.
Perspektivwechsel
Um mit einem Hund arbeiten zu können, der öfter aus der Fassung gerät, solltest du die Perspektive ändern.
Richte den Fokus zuerst auf die Gefühle deines Hundes und nicht darauf, dass du unbedingt sein Verhalten ändern möchtest.
Ein Hund, der Probleme macht, zeigt dass er Probleme hat.
***** Hinter jedem Verhalten steht eine Emotion mit einem Bedürfnis *****
Beginne damit, dass du deinen Hund befragst. Frag ihn, was alles genau beunruhigend für ihn ist. Notiere dir an drei Tagen alles, was deinen Hund aus der Fassung bringt.
Erstelle dir eine Ausflipp-Liste. Schreib dort die Uhrzeit auf und den Ort, wo dein Hund ausgeflippt ist. Notiere dir auch mehr Information, wieviel Aufregung hatte dein Hund z.B. vorher an diesem Tag schon erlebt?
Wie ist die Stimmung in der Familie? Sind die Menschen gestresst? Die Kinder schreiben vielleicht wichtige Arbeiten in der Schule, du hast zu viele Termine um die Ohren und Tante Emma hat ihren Besuch angekündigt.
Du möchtest ziemlich genau wissen, warum dein Hund in bestimmten Situationen aus der Fassung gerät, dafür ist es wichtig die Auslöser zu benennen.
Schau dir alles sehr sachlich an, notiere dir möglichst alles, ohne zu interpretieren oder zu werten.
Das ist nicht einfach, wir Menschen haben immer schnell Rezepte und Deutungen an der Hand.
Sätze, wie: „er weiss genau, dass er das nicht soll“, „er ist total stur“ oder auch: „er bellt immer, wenn er eifersüchtig ist“, bringen uns nicht weiter.
Wir können ja nicht in den Hund hineingucken.
Vielleicht ist er stur, vielleicht aber auch nicht. Dass dein Hund immer an der Haustüre bellt, ist eine sachliche Beobachtung.
Ohne zu interpretieren, kannst du dir Gedanken machen, warum er das tut und wie du ihm beibringen kannst, leise durch die Haustüre zu gehen.
Beispiel für eine Ausflipp-Liste
Wann |
Wo |
Was |
Wie nah/wie stark/wie lange |
Was war vorher |
Datum |
Ort |
z.B. schwarzer Hund |
Kam plötzlich um die Ecke, ca.3m Distanz, hat gebellt, kam näher, ging nicht weg. Dauer ca. 30 Sek |
Viel Besuch am Wochenende (Tante Emma) |
Rahmenbedingungen schaffen
Wann fühlt sich dein Hund wohl, wann und wo ist er entspannt und wo liegen die Grenzen für das Wohlbefinden deines Hundes?
Denk über Bedingungen im Alltag nach, die dein Hund benötigt, damit er nicht mehr „aus dem Rahmen“ fallen muss. Biete deinem Hund Schutz und Sicherheit innerhalb klar abgesteckter Grenzen. Sei klar und konsequent in den Regeln, die du aufstellst und halte diese auch selber ein. Schaffe sinnvolle Rahmenbedingungen für euer Zusammenleben.
Klare Rahmenbedingungen und Regeln, die der Hund verstehen kann, bringen Ruhe in den Alltag eines nervösen Hundes.
Management
Die erste Handlung, um optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, ist das Management. Dazu gehört alle Massnahmen, die ein unerwünschtes Verhalten verhindern. Gestalte die Umwelt so, dass dein Hund optimale Rahmenbedingungen bekommt:
- Wenn er die Auslöser nicht sehen kann, wird er sich vielleicht weniger aufregen.
- Ein Kindergitter kann ihn von der Familie am Tisch trennen, so dass er bei den Mahlzeiten weder betteln, noch stören kann.
- Er wird jedes Mal mit einem Kauknochen in einen ruhigen Raum gebracht, bevor der Besuch an der Haustüre klingelt.
Management verhindert Fehlverhalten. Unerwünschtes Verhalten kann sich somit auch nicht mehr selber belohnen, was uns im späterenTraining eine bessere Ausgangsposition gibt.
Zu den wichtigsten Hilfsmitteln für ein gutes im Management gehören u.a.:
- Distanz
- Sichtschutz
- Kindergitter
- Hausleine
- Schleppleine
- Maulkorb
Ruhe im Alltag ist die wichtigste Grundlage, damit fassungslose Hunde mit ihrem Verhalten nicht mehr aus dem Rahmen fallen müssen.
Günstige Rahmenbedingungen gehen jedem guten Training voraus. Dein Hund kann nur lernen, wenn er sich in einem möglichst entspannten Zustand befindet. Die dafür günstigen Rahmenbedingungen zu schaffen ist aber manchmal nicht einfach.
Beginne daheim im vertrauten Umfeld. Optimiere die Ruheplätze, gib deinem Hund im Alltag Schutz vor zu viel Aufregung und gestalte das Leben für deinen Hund berechenbar.
Sensorische Diät
Manchmal kann es Hunden sehr helfen, wenn sie eine Reduktion von anregenden Reizen verordnet bekommen.
Sei es, dass ein Hund mit weniger Anregendem konfrontiert wird oder dass man bewusst den einen oder anderen Aufreger weglässt. Eine sensorische Diät kann der Türöffner sein, um gezielt an den relevanten Reizen zu arbeiten.
Ruhe
Box, Decken oder Körbchen sollten vor aufregenden Reizen geschützt sein.
Vielen Hunden tut es nicht gut, wenn sie Eingänge kontrollieren können, Geräuschen aus dem Treppenhaus ausgesetzt sind oder auch unruhige Sichtreize auf der Strasse mitbekommen.
Denk daran, dass dein Hund 18 bis 20 Stunden Ruhe am Tag benötigt. Sorge für geschützte Rückzugsplätz und bring deinen Kindern bei, dass ein schlafender Hund niemals gestört werden darf.
Schutz
Dein Hund kann noch nicht lange genug alleine bleiben und zeigt sein Unwohlsein durch zerstörerisches Umdekorieren der Wohnung oder durch winseln, bellen oder fiepen an?
Das Training wird etwas Zeit benötigen, daher solltest du zwischenzeitlich durch Management dafür sorgen, dass dein Hund keine Panik bekommt. Engagiere eine Hunde-Nanny, einen Hundesitter oder frag eine Nachbarin, ob sie deinen Hund so lange hütet, bis euer Training erfolgreich ist.
Schütze deinen Hund vor Dingen, die er nicht bewältigen kann. Es wird sein Vertrauen in dich stärken und eure Bindung fördern.
Wichtig ist: Warte nicht, bis dein Hund meint sich selber schützen zu müssen.
Sondern greife aktiv in Situationen ein und führe deinen Hund liebevoll in eine andere Umgebung, wo er sich sicher fühlen kann. Ein gutes Timing ist dafür nötig und du solltest sehr gut die Gedanken von deinem Hund gut lesen können.
Lerne das Ausdrucksverhalten kennen, informiere dich darüber wie Hunde kommunizieren und wie sie dabei aussehen.
Training
Gegenkonditionierung- Den Reizen eine neue Bedeutung geben
Wichtig: nur die passende Distanz zu den Reizen führt zu fehlerfreiem Training!
Wenn die Rahmenbedingungen für deinen Hund stimmen, dann kannst du damit beginnen an neuen Verhaltensweisen zu trainieren.
• Hilf deinem Hund bei der Bewältigung seiner Umwelt, indem du ihn dafür belohnst, dass er gruseligen Dinge anschaut.(Technik: Management, Click für Blick, Look at that, mark+move)
• Belohne deinen Hund jedes Mal dafür, dass er etwas für ihn Unangenehmes angeschaut hat und lass dir so alles für ihn Wichtige von ihm zeigen.
• Denk daran, du bist verantwortlich dafür deinen Hund zu schützen. Zeigt er dir, dass ihn etwas beunruhigt, dann lobe ihn und führe ihn vom Auslöser weg, in seine Sicherheitszone.
Erstelle einen Ablenkungsfahrplan. Nimm dir viel Zeit für gutes Training.
Dein Hund zeigt dir durch sein Verhalten, ob ihr mit dem Training auf dem richtigen Weg seid.
Wird das Verhalten nicht besser, dann hast du noch nicht den richtigen Weg für deinen Hund gefunden. Sei kreativ oder lass dich von einer erfahrenen Trainerin coachen.
Ein Trainingsprotokoll oder eine Bilanzliste geben emotionslos Auskunft, ob ein Verhalten besser wird. Zahlen lügen nicht!
Im Training arbeitest du Schritt für Schritt an den Auslösern. Geh dabei sehr sachlich vor und zähle eure Erfolge und eure Misserfolge.
Fassungslose Hunde zeigen meisten eine Mixtur von verschiedenen unerwünschten Verhaltensweisen.
Sie bellen andere Hunde an, sie springen Menschen an, sie zerren an der Leine, sie können nicht alleine sein oder fahren nicht gerne Auto.
Nicht jeder Hund macht alles, aber oft kommt da einiges zusammen und du solltest cool und sachlich sortieren. Wir können nicht immer an allem gleichzeitig trainieren.
Was geht gar nicht und muss sofort verhindert werden? Was schadet dir, deiner Familie oder auch deinem Hund?
Click für Blick oder „Ich sehe was, was du nicht siehst“
Für Hunde, als Nachkommen von Gruppenjägern und Individuen, die in sozialen Gruppen leben, ist es ganz natürlich relevante Reize anzuzeigen und damit die Gruppenmitglieder zu informieren.
Techniken wie Click für Blick, mark & move und Look at that arbeiten mit dieser natürlichen Anzeige.
Gleichzeitig findet durch hochwertige Belohnung im Training emotional eine Umdeutung des Reizes statt. Der Reiz, der vorher Stress ausgelöst hat, bringt den Hund nun in eine positive Erwartungshaltung. Der Reiz bekommt eine neue Bedeutung.
Dein Hund beginnt durch das Training mit dir zu kooperieren, er wird dir immer deutlicher anzeigen, was ihn interessiert.
Der Reiz wird zur Ankündigung dafür, dass er sich eine Belohnung verdienen kann.
Wenn dein Hund beginnt Reize bewusst anzuzeigen und mit dir zu arbeiten, indem er dir alles anzeigt, dann sind ganz andere Bereiche des Gehirns aktiv, als wenn er reaktiv auf etwas losstürmt.
Pendeltraining*
Mit Pendeltraining kannst du gezielt an den Auslösern arbeiten und deinen Hund unterhalb seiner persönlichen Reizschwelle die Zeit geben, sich immer wieder neu mit dem Reiz auseinanderzusetzen.
Entspannungssignale
Konditioniere Entspannungssignale, wie Entspannungswort oder -duft. Eine gut trainierte Ruhematte, Entspannungsmusik und /oder Relaxodog helfen belastende Erlebnisse zu bewältigen. Sie bringen das kleine Hundegehirn wieder in einen denkenden Modus und helfen deinem Hund wieder in deiner Welt einzuchecken und ansprechbar zu werden.
Baue zusätzlich Rituale auf, wie gemeinsames Kontaktliegen, Wellnessmassage, Tellington Touch u.v.m.
Vergiss nicht, die konditionierten Entspannungssignale helfen auch dir!
Stimmungsübertragung, die virtuelle Führung
Als soziale Wesen orientieren Hunde sich stark an uns Menschen. Wir können bewusst unsere Stimmung auf den Hund übertragen.
Sogenannte Calming Signals, wie Blinzeln, Gähnen, den Blick anwenden u.v.m. geben einem anwesenden Hund wichtige Informationen und können gezielt eingesetzt werden. Hunde orientieren sich u.a.am Atem, der Blick- und Laufrichtung, an unserer Energie, dem Lauftempo und Muskeltonus. Das alles lässt sich mit etwas Übung bewusst steuern und gezielt einsetzen.
Setze bei dir Autogenes Training ein, Emotional Freedom Technik und konditioniere auch für dich das Entspannungssignal.
Rituale „Und täglich grüsst das Murmeltier“
Rituale geben deinem Hund Sicherheit.
Fassungslose Hunde benötigen Struktur im Alltag und einen regelmässigen Tagesablauf.
Hunde bekommen Sicherheit, indem sie sich mit allen Ablenkungen mehrmals auseinandersetzen können.
Laufe z.B.die gleichen Wege immer wieder und gib deinem Hund Zeit, um sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen. *Siehe: Pendeltraining
Unterstützende Spiele sind: Das kleine Aufmerksamkeit Spiel, Click für Blick, Look at that, HundeTV
Achtsamkeit
Die Beziehung zwischen dir und deinem Hund ist nicht durch Befehl und Gehorsam definiert. Spiele mit deinem Hund ruhige Spiele, die eure wechselseitige Kommunikation fördern.
Geh mit deinem Hund auf Entdeckungstour. Suche neue Gegenden auf, schaut euch gemeinsam um, beginne querzudenken.
Wer sagt, denn dass man auf Wiesen immer toben muss, im Wald immer frei sein darf und in der Stadt im Fuss laufen muss.
Geh mit deinem Hund in die Stadt, setz dich auf eine Bank und schaut euch um (Hunde TV). Lass deinen Hund im Wald Leckerli suchen oder macht Ruheübungen auf der Ruhematte mitten in einer Wiese.
Die Rückrufsignale
Gut trainierte Rückrufsignale bringen deinen Hund schnell wieder in deine Welt.
Gleichzeitig sind sie freundliche Abbruchsignale, die das geplante oder schon gestartete Verhalten auf nette Art unterbrechen.
Weitere RR-Signale sind:
Blitzkehre und U-Turn
Die Umorientierung Signale
Handtargetspiele
Das „Stopp“ auf Distanz
Das Follow -„Da muss er durch“
Hin und wieder sind die räumlichen Bedingungen ungünstig. Um unbeschadet aus der Situation zu kommen, sollte dein Hund Signale kennen, die ihm ein bedingungsloses Weiterlaufen ankündigen. Das verhindert unnötiges Leinengezerre und körperliches Wettrüsten.
Das „Weiter geht’s“
„An lockerer Leine laufen“ können
Fokuslaufen mit Looktarget
Targettraining
Alternativverhalten durch Belohnungen
Gutes Training kann so elegant sein!
Durch geschickt platzierte Belohnungen führst du den Hund elegant in ein erwünschtes Alternativverhalten.
Wenn du das dann regelmässig geübt hast, dann wird dein Hund das Alternativverhalten nach einer Weile sogar vorausnehmen, da er seine Belohnung dort erwartet.
Und schon haben wir wieder für freundliche Rahmenbedingungen gesorgt.
Diese Spiele bauen durch einen klugen Belohnungsort Alternativverhalten auf:
Suchtarget-die Futtersuche (Signal „such mal im Gras“ o.ä.)
„Komm mit mir mit“- Das 10 Leckerli Spiel Zählen (siehe Trainingsplan „Das 10 Leckerli Spiel“)
Lauerspiele, Top oder Flop, Doggy Zen
Die Handtarget Spiele
Belohnungssequenzen und Tricks
Der Weg ist das Ziel
Ein Leben mit fassungslosen Hunden ist anstrengend und auch das Training kostet viele Zeit. Optimale Rahmenbedingungen müssen ständig neu ausgehandelt werden.
Wir können auch andere Menschen und Tiere nicht kontrollieren, daher werdet ihr immer wieder Situationen erleben, die nicht optimal laufen. Notiere sie dir auf eurer Bilanzliste.
Lerne deinen Hund in seinem Ausdrucksverhalten zu lesen und vertraue ihm. Dein Hund weiss am besten, was er bewältigen und was er nichtschaffen kann.
Begegne deinem Hund mit Geduld und Liebe und freu dich über jeden Erfolg im Alltag.
Sein Vertrauen in dich, ist das grösste Geschenk.